Problem-Situation: Kindernotfall
Notärzte auf der ganzen Welt führen Wiederbelebungen an Kindern mit geringerer Erfolgsrate durch, als bei Erwachsenen obwohl die Voraussetzungen aufgrund der zugrundeliegenden Krankheiten eigentlich besser sein müssten 1-3. Dies liegt vor allem an mangelnden Erfahrungen und Kenntnissen. Diese Schwierigkeiten spiegeln sich auch in einer erhöhten Anspannung bei der Versorgung von Kindern wieder, die zusätzlich sicher keine positive Wirkung auf die Qualität der Versorgung hat. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich aber dennoch bemerkenswert, dass eine Gruppe recht erfahrener Notärzte auf die Frage, vor welchen Situationen Sie besonders Angst haben, viermal so oft angegeben haben "vor Kindernotfällen" als "vor einem Massenanfall von Verletzten" 4. Dabei sind ganz klar und bestens dokumentiert die Fehler bei den Medikamenten-Dosierungen führende Ursache 5-7, wobei vor allem Fehler in einer 10er Potenz regelmäßig vorkommen und bedrohlich sind 1, 8. So konnten selbst in für die Versorgung von pädiatrischen Notfällen vorgesehenen Einrichtungen eine Inzidenz von Medikamentenfehldosierungen in Höhe von 10% im klinischen Alltag festgestellt werden, womit Fehldosierungen 3 mal so häufig vorkommen, wie bei Erwachsenen in vergleichbaren Untersuchungen 5, 7. In einer Untersuchung an Übungsmodellen in einer Notfalleinrichtung unter Einbeziehung eines speziell für diese Situationen vorbereiteten Teams tauchten bei sieben von acht simulierten Reanimationen Fehler bei der Medikamentenverabreichung auf; in neun Fällen kam es zu Fehldosierungen, in drei Fällen wurde eine zehnfach zu hohe Dosis entweder mündlich angeordnet oder vorbereitet 8, wobei der Fehler durch eines der Teammitglieder bemerkt und die Verabreichung verhindert wurde. Die Bedingungen in der präklinischen Versorgungssituation muss voraussichtlich erheblich schlechter als in der beschriebenen klinischen inszenierten Situation angenommen werden, denn:- Die präklinisch Versorgenden sind bis auf sehr seltene Ausnahmen keine Spezialisten für Kindernotfälle18.
- Durch das Fehlen eines eingespielten Teams verliert die Situation ihre planbare Routinekomponente, die jede Notfallsituation im Krankenhaus zumindest durch die Konstanz der Infrastruktur erhält: im Schockraum einer Intensivstation gibt es eine feste Anordnung der Materialien, Hilfsmittel und des Personals, am Notfallort muss dieses jedes Mal den Gegebenheiten angepasst und somit variiert werden.
- Das Personal einer Krankenhaus-Einrichtung kennt sich meist und ist zu einem gewissen Grad eingespielt, in großen Rettungsdienstbereichen kann dies nicht erreicht werden (beispielsweise hat die Berufsfeuerwehr Köln 900 im Rettungsdienst tätige Sanitäter und Assistenten sowie über 130 Notärztinnen/Notärzte). Es sind also unzählige Kombinationen von Teamzusammensetzungen denkbar, die noch nie ernstzunehmende Ereignisse bei Kindern gemeinsam erlebt haben.
- Es besteht ein wesentlich kleineres Team mit einem Gefälle an spezieller Fachkompetenz (in der Regel ein Notarzt und drei Rettungsassistenten), somit sind die Kontrollmechanismen verschiedener ähnlich kompetenter Instanzen, wie sie im Krankenhaus anzutreffen sind und wesentlich zur Sicherheit beitragen 8, nicht gegeben.
- Es besteht eine im Vergleich zum Krankenhaus eingeschränkte Möglichkeit, einen Kollegen vor Ort zu konsultieren um eine weitere Meinung einzuholen oder die eigene Einschätzung zu validieren.
- Es besteht ein geringeres Arsenal an Hilfsmitteln und Diagnostik, als dies im Krankenhaus der Fall ist.
Somit muss man davon ausgehen, dass die Qualität der Versorgung im Krankenhaus trotz der oben genannten hohen Fehlerraten noch deutlich der Situation "auf der Strasse" überlegen ist. Dies wird durch Studien bestätigt, in denen nur 30% der präklinisch reanimierten Kinder eine korrekte Epinephrin-Dosis zur Reanimation bekommen haben 9. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass Fehler bei der Medikamentenverabreichung einen erheblichen Anteil an der niedrigen Erfolgsrate bei Reanimationen von Kindern haben 8, 10.
Es gibt mittlerweile viele erschreckende Beispiele, bei denen die vermutet hohe Rate an lebensbedrohlichen Fehlern bei der präklinischen Versorgung von Kindern dokumentiert wurde. Beispielsweise wurde im Jahr 2012 eine Studie aus den USA publiziert, in der die durchschnittliche Überdosierung vom Adrenalin bei 808% der empfohlenen Dosis lag 20.
Ich möchte hier unserem Übersichtsartikel im Deutschen Ärzteblatt empfehlen, der die Problematik gründlich beschreibt, aber auch eine ganze Menge an durch Evidenz als wirkungsvoll gesicherte Maßnahmen aufzeigt, um die Rate an lebensbedrohlichen Fehlern bei der präklinischen Versorgung von Kindern zu reduzieren 21.
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